Jürgen Reichert

Künstlertext

Die Wesen haben eine bezaubernde Ausstrahlung und entführen den Betrachter in eine andere Welt. Eine Welt sanft glühender Planeten, leuchtender Seeanemonen und geheimnisvoll vergrößerter, durchscheinender Mikroorganismen, die mit ihren Tentakeln nach den Vorbeigehenden zu greifen scheinen. Einige meiner Lichtskulpturen sind wiederum von Empfindungen und Gefühlen inspiriert oder haben einen mythologischen Hintergrund.

Ihr Wesen ist das Licht, sie leuchten von innen und scheinen aus Licht zu bestehen.

Die lateinischen Namen legen nahe, dass es sich um Angehörige einer größeren Familie handelt, die hier als Hausgenossen in Erscheinung treten. Doch es sind keine gewöhnlichen Wesen, sondern lichtgebende Organismen. Sie können den Namen fremder Gottheiten tragen, die auch eine angsteinflößende Seite besitzen können. Angsteinflößend deshalb, weil sie die verborgenen und verdrängten Ängste der Betrachterinnen und Betrachter sichtbar machen.

Anders dagegen Blumenwesen wie die ‚Blaue Blume‘ und andere Schöpfungen: Tagsüber ist hier der weiße Blütenkelch aus Silikon zu sehen. Doch in einer warmen Sommernacht, im Schimmer des Schwarzlichts, umschwärmen Motten, Nachtschmetterlinge und Mücken den Stempel mit den feinen Härchen. Dann entfaltet sich eine summende, flatternde und krabbelnde Welt vor den Augen, ein lebender, lichtgebender Lebensraum.

Das Fühlen und Erfahren des Materials gehört untrennbar zu dem Eindruck dazu: Meist sind die Wesen weich und gummiartig, manchmal auch warm und borstig. Dazu verwende ich Stoffe wie Silikon, Nylon, Wolle und Pigmente, aus denen ich die Lichtwesen aufbaue. Formen werden hierbei nicht verwendet; es handelt sich deshalb um Unikate.

Für mich gehört auch das Licht zu den „Materialien“. Es baut auf mich eine besondere Faszination aus: Zwar besitzt es (scheinbar) keine stofflichen Eigenschaften, es kann aber in der Kunst wie ein Material eingesetzt werden. Genau wie Stein oder Holz hat auch jede Lichtart ihren eigenen Charakter. So eignet sich Licht besonders dazu, Stimmungen zu transportieren und eine bestimmte seelische Energie zu verkörpern. Das Licht wird in vielen Kulturen als Symbol für die Lebensenergie, die göttliche Energie, angesehen.

Im Gegensatz zu anderen Skulpturen besitzen Lichtskulpturen keine festen Grenzen, sondern hüllen den Betrachter mit ihrem Licht ein.

Jürgen Reichert